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"Mädchen": sexistisch und klassistisch

Warum heißt es DAS Mädchen und nicht DIE Mädchen - im Singular. Diese Frage haben sich sicherlich schon einige von euch gestellt und sich im zweiten Schritt darüber geärgert - schließlich ist ein Mädchen ja keine Sache. Aber trotzdem hat Mädchen einen sächlichen Artikel. Was hat der da zu suchen? Irgendwie unfair. Aber das ist noch nicht alles: Wenn wir uns die Wortentwicklung von Mädchen anschauen, müssen wir feststellen: Das Wort Mädchen ist nicht nur sexistisch, sondern auch klassistisch.



Inhalt



Mädchen mit Göre Button von Juli Faber

Warum ist Mädchen ein Neutrum?


Der Ursprung von Mädchen liegt in maget. Maget ist das mittelhochdeutsche Wort für „Magd“ und Mädchen ist nichts anderes als der Deminutiv davon – also seine Verniedlichung. Ursprünglich lautete das Wort also mägdchen, aber da das außer Luther, der diese Version noch in seinen Tischreden benutzte, kein Mensch aussprechen kann, wurde im Laufe der Zeit Mädchen daraus.[i] Der Grund für das Neutrum ist ganz einfach der Deminutiv, denn die haben immer einen sächlichen Artikel: das Wägelchen, das Häuschen, das Bäumchen und so weiter. Die Kleinmachung bzw. die Verniedlichung entfremdet das Objekt und macht aus dem maskulinen Wagen ein sächliches Wägelchen. Genauso wird die erwachsene Magd zu einem entfremdeten (um nicht zu sagen entmenschlichten) kleinen, niedlichen Objekt: Dem Mädchen.


Manche von euch denken jetzt vielleicht – wo ist das Problem? Mädchen sind nun mal klein und süß, daher passt der Deminutiv doch irgendwie? Mag sein, dass Mädchen klein und süß sind. Aber das gilt für alle Kinder, auch für Jungs. Auch die hopsen herum, brabbeln lustig und malen grausige Bilder, auf die sie ganz stolz sind. Niedlich eben. Aber aus männlichen Kindern machen wir keine sächlichen Objekte, sondern bezeichnen sie einfach als „junge Menschen“. Junge ist nämlich nichts anderes als die Substantivierung von „junger Knabe“.[ii] 


Mädchen ist klassistisch


So weit, so sexistisch. Aber „Mädchen“ ist nicht nur wegen dieser Kleinmachung problematisch, sondern auch das Wort maget ist hier entscheidend. Denn eine maget war (und ist) eine unverheiratete Frau mit eher niederem sozialem Status oder eine Dienerin.[iii] Mädchen bedeutet also übersetzt so viel wie „kleine, niedliche, unverheiratete Frau eher niederen sozialen Status“. Großartig. Ein Träumchen. So möchte doch jeder junge Mensch ins Leben starten.


Für alle, die sich nicht vorstellen können, wie unangenehm dieser Mädchen-Frame ist, kommt nun ein Experiment: Nehmen wir das männliche Pendant zu Magd und verniedlichen es. Zu Magd passt Knecht, denn das war ein Diener oder ein unfreier Mann niederen Status. Im Deminutiv wird daraus das Knechtchen. Würdet ihr so einen Jungen benennen und erwarten, dass er sich ernst genommen fühlt? (Teil zwei des Experiments wäre, es bei einem Halbstarken mal auszuprobieren und schauen, wie er reagiert.)


Darf ich noch Mädchen sagen?


Können wir mit diesem Wissen das Wort Mädchen noch guten Gewissens benutzen? Klar, selbstverständlich. Wortherkünfte zu verstehen ist extrem spannend, um die Gesellschaft, aus der wir kommen, kennen zu lernen und Muster zu hinterfragen. Aber kein heute lebender und sprechender Mensch hat sich das Wort ausgedacht. Es ist nicht unser Fehler, dass es existiert, und mangels Alternative können wir es nicht einfach aus unserem Sprachgebrauch kicken. Im Laufe der Jahrhunderte gab es eine ganze Reihe von Bezeichnungen für weibliche Personen, je nach ihrem Familienstatus und sozialem Stand und auch diese Bezeichnungen haben ihre Bedeutung über die Jahrhunderte verändert. Dementsprechend sind die historischen Alternativen gering. Wir hätten die Wahl zwischen diorna, Fräulein und juncvrouwe – alles Wörter, die zwischen dem Althochdeutschen und dem Neuhochdeutschen irgendwann als Bezeichnung für Mädchen geläufig waren. Keines davon ist in der heutigen Zeit auch nur annähernd brauchbar.




Was ist das Generische Maskulinum?

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Dazu kommt, dass wir in unserem Sprachverständnis Mädchen überhaupt nicht mit Magd in Verbindung bringen. Das wird zum einen daran liegen, dass Magd ein veralteter Begriff ist und heute nur noch in einem nostalgischen Lönneberga-Kontext gebräuchlich ist. Zum anderen unterscheiden sich beide Wörter stark genug voneinander, dass unser Gehirn dort keine semantische Verknüpfung herstellt. Das bedeutet, dass der klassistische Frame zwar historisch vorhanden ist, aber bei der Verwendung des Wortes Mädchen nicht aktiviert wird. Und Letzteres ist entscheidend, wenn es darum geht, wie wir über eine bestimmte Person oder Sache denken.


Auf der Suche nach Alternativen


Was uns trotzdem bleibt, ist das unsägliche Neutrum für Mädchen. Es gibt genügend Menschen, die sich so sehr daran stören, dass sie sich auf die Suche nach Alternativen gemacht haben, um weibliche Kinder zu benennen. Der Sprachwissenschaftler Matthias Behlert schlug 2010 neue Formen von jung- vor, um Kinder nach ihrem Geschlecht zu bezeichnen. Ein Junge wäre dann ein Jungis, ein Mädchen eine Jungin und ein genderdiverses oder intergeschlechtliches Kind ein:e Jungil[iv]. Ja, das ist verrückt und bleibt eine schöne Idee.


Auf Instagram bekam ich von verschiedenen Menschen Alternativen vorgeschlagen, als sie mein Reel zum Wort „Mädchen“ gesehen haben. Hoch im Kurs war die Variante zu allen jungen Menschen, egal welchen Geschlechts, Kind zu sagen. Doch für Viele ist das offenbar unbefriedigend, Geschlechter nicht differenzieren zu können. Andere Vorschläge waren daher die Junga und der Jungo, die Junge, die Jungin oder einfach die englische Variante girl. Voraussetzung für Letzteres wäre vermutlich, dass wir uns auch hier von dem sächlichen Artikel verabschieden und zu die girl übergehen.


Eine Lanze für die Göre


Mein absoluter Favorit unter den vorgeschlagenen Alternativen war allerding folgende: Göre. Dieses Wort ist noch relativ neu, heißt, erst ab dem 17. Jahrhundert belegt und meint wohl hauptsächlich - aber nicht nur - Mädchen. Im Singular wurde er zuweilen auch für männliche Kinder benutzt und der Plural Gören bezeichnet Kinder im Allgemeinen.[v] Später wurde es zunehmend als Ausdruck verwendet, um ein freches oder herumalberndes Kind zu bezeichnen – allerdings eher in einem gutmütigen, weniger in einem bösartigen Sinne.

In der Göre steckt also alles, was wir brauchen: Sie ist ein Femininum, das aber auch geschlechtsneutral eingesetzt werden kann. Das Wort wurde ausschließlich für Kinder benutzt und braucht daher keine diskriminierenden Frames aus der Erwachsenenwelt – ciao Adultismus! Aber was die Göre in meinen Augen vor allem stark macht, ist die Aufmüpfigkeit, die in der Bedeutung mitschwingt. Für den modernen Feminismus, der sich von jeder Versachlichung und Kleinmachung des Weiblichen losmachen und das verstaubte Bild von „der Frau als Dienerin des Mannes“ auf dem Scheiterhaufen verbrannt sehen möchte, ist der freche Beigeschmack des Gören-Begriffs durchaus charmant.



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 Quellen

[i] Dtv- Atlas “Deutsche Sprache”, S. 167.

[ii] Dtv- Atlas “Deutsche Sprache”, S. 167.

[iii] Dtv-Atlas „Deutsche Sprach“, S. 113.

[iv] Behlert, Matthias: Die Häsis und die Igelin. Geschlechtergerechtes Deutsch. 2010.

[v] Wörterbuchnetz, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemid=G22500, 04.06.2025.

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