Woher kommt das Wort „deutsch“?
- Juli Faber
- 13. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Entglorifizierung eines Ursprungsmythos
Inhalt
Immer mehr unserer Mitmenschen scheint es wichtig zu sein, stolz auf das Land sein zu können, dass wir „Deutschland“ nennen. Nicht zuletzt unser Zweirunden-Bundeskanzler. Es versteht sich von selbst, dass eine stolze Nation auch einen Namen vorzeigen will, der etwas her macht. Darum waren die ersten nationalistischen Linguisten sehr fleißig darin, eine beeindruckende Geschichte zu dem Wort deutsch zu ergründen. Das Ergebnis war, dass bis in die NS-Zeit hinein die Erzählung existierte, deutsch würde im Urgermanischen so viel wie „Kraft“ und „Stärke“ bedeuten. Aber der wahre Grund, warum die Deutschen deutsch genannt wurden, hat mit beidem wenig zu tun. Sondern ist eher ein bisschen lustig.

Die deutsche Wortwiege
Die älteste deutsche Form des Begriffs deutsch ist das althochdeutsche diutisc. Das finden wir in historischen Schriften erst im 10. Jhd. Warum erst? Weil seine lateinische Entsprechung theodisce schon zwei Jahrhunderte früher auftauchte. Es bedeutete so viel wie „dem Volke zugehörig“ und bezog sich auch - aber nicht nur - auf Sprache. Also nichts mit Kraft und Stärke und so.
Aber die Geschichte geht noch weiter. Das lateinische Wort theodisce wurde im 8. Jahrhundert in mehreren europäischen Regionen benutzt, um das Latein von einheimischen Sprachen abzugrenzen – also nicht nur im heutigen Deutschland, sondern auch im französischsprachigen und englischsprachigen Raum. Vielleicht sogar in noch mehr Regionen. Es bezog sich damals also gar nicht auf das heutige deutsch, sondern bedeutete einfach nur so viel wie „die Sprache, die in dieser Region gesprochen wird und nicht Latein ist“.[i]

Wer erfand das generische Maskulinum?
Die historische Sprachentwicklung der deutschen Sprache aus feministischer Perspektive
Im frankophonen und angelsächsischen Sprachraum haben sich dann irgendwann eigenständige Sprachbezeichnungen etabliert. Vorgängerinnen von „Französisch“ und „Englisch“ eben. Aber mangels Alternativen für den germanischsprachigen Raum auf dem Festland, sind dort „eingedeutschte“ Versionen wie althochdeutsch diutisc oder altsächsisch thiudisc hängen geblieben.[ii] „Germanischsprachig“ bedeutet, dass es sich auf sämtliche Dialekte bezog, die wir heute der germanischen Sprachfamilie zuordnen. Also auch auf das heutige Niederländische. Auf altfriesisch war bis ca. 1400 der tyoesch prester der „holländische Priester“[iii], bis heute heißt das Deutsche im Niederländischen duits – und das Niederländische im Englischen dutch. Wortverwirrung bis in die Moderne.
Das Wort deutscH: Nur völkisch, keine Stärke
Die Aneignung dieses Begriffs wird den deutschen Gelehrten des Frühmittelalters nicht schwergefallen sein, denn das germanische Wort für „Menge“ oder „Volk“ war diot. Hier wird es jetzt deep und wir kommen der Erklärung näher, woher die nationalistische Erzählung von Stärke und Kraft im Bezug auf deutsch kommt. Denn diot lässt sich auf den indoeuropäischen[1] Ausdruck *teutā zurückführen und der kann als „Stärke/Kraft“ übersetzt werden. Allerdings kann es aber je nach Derivat, also je nach Wortform der Wurzel *teu-, auch „Menge“, „Fett“, „Wulst“ oder sogar „Geschwür“ bedeuten[iv].
Wer jetzt denkt, die Nazis hatten doch recht, weil diot und duitisc, das klingt ja fast gleicht, irrt sich zum Glück. Denn duitisc ist mit dem Suffix (Wortanhängsel) -isc keine semantisch logische Ableitung von diot. Und dazu gab es im gesamten germanischen Sprachraum nur eine Entsprechung von diot, die den Begriff nicht nur für „Volk“ im Sinne von „Menschenmenge, Leute“ benutzte, sondern auch für „Sprache“. Das war das altenglische ðēod. Das deutsche diot allerdings nicht. Unter anderem aus diesen Gründen ist kein germanisches Urwort für diutisc belegbar und wir können davon ausgehen, dass es eine Lehnübersetzung, also eine „Eindeutschung“ des lateinischen theodisce war.[v]
Drei Schlussfolgerungen gegen Schabernack
Wie wir sehen, ist die Entstehungsgeschichte zum Wort deutsch durch und durch unheroisch, unpatriotisch und war auch nicht Teil einer nationalistischen Selbstglorifizierungskampagne. Es war einfach ein Behelfswort lateinischer Gelehrter für sämtliche germanische Dialekte auf dem Festland. Ab dem 10. Jahrhundert haben schließlich auch germanischsprachige Gelehrte diesen Begriff für sich übernommen und im 15. Jahrhunder wurde dann sprachlich das diutsche lant geboren: das „deutschsprachige Land“. Kurz „Deutschland“.[vi] Es war also durchaus eine Selbstbezeichnung, die aber je nach Region und gesprochenem Dialekt etwas anders ausfiel. Im Mittelniederdeutschen gab es sogar gleich drei Varianten: dǖdesch, deīdisch und dǖtsch.[vii]
Was lehrt uns also die Entstehungsgeschichte des Wortes deutsch? Nun, meiner bescheidenen Ansicht nach, können wir drei Schlussfolgerungen festhalten, die uns bei jeder Verwendung dieses Wortes in den Sinn kommen sollten, damit nie wieder ein Mensch – auch nicht der Zweirunden-Bundeskanzler – damit Schabernack treiben kann. Diese wären wiefolgt: (*Räuspern*)
1. Rechtspopulistische Erzählungen sind in den allermeisten Fällen erfunden,
2. diot („Volk“) ist nur einen Laut entfernt von Idiot und
3. die naheliegende Form einer völkischen Kraft ist ein wulstiges Geschwür.
Danke.
Anmerkung
[1] „Indoeuropäisch“ ist ein Überbegriff für mehrere Sprachen, die sich regional vom altindischen Sanskrit, über Persisch bis zu europäischen Sprachfamilien wie Romanisch und Germanisch ziehen. Das Indoeuropäische gilt als eine Art Ursprache aller Sprachen, die aus ihm entstanden sind.
Quellen
[i] Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, De Gruyter, 25. Auflage, S. 194.
[ii] https://ewa.saw-leipzig.de/articles/diutisc/de#diutisc (zuletzt abgerufen 12.05.2025).
[iii] https://ewa.saw-leipzig.de/articles/diutisc/de#diutisc (zuletzt abgerufen 12.05.2025).
[iv] https://indogermanisch.org/pokorny-etymologisches-woerterbuch/index.htm (zuletzt abgerufen 12.05.2025).
[v] https://ewa.saw-leipzig.de/articles/diot/de#diot (zuletzt abgerufen 12.05.2025).
[vi] Kluge, ebd.
[vii] https://ewa.saw-leipzig.de/articles/diutisc/de#diutisc (zuletzt abgerufen 12.05.2025).
Comments