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Was ist das generische Maskulinum?

Von Magie bis Neurologie



Inhalt


Generisches Maskulinum Juli Faber

In der deutschen Sprache gilt die maskuline - also die männliche - Form von Personenbezeichnungen als Norm. Dieses Phänomen wird "generisches Maskulinum" genannt. Konkret bedeutet das, dass z.B. die Menschen, die in einer bestimmten Firma arbeiten, grundsätzlich, als „Mitarbeiter“ bezeichnet werden. Das gilt seit Ende der 1990er-Jahre als grammatikalisch korrekt.[i] Dabei ist vollkommen egal, welches Geschlecht die bezeichneten Menschen haben. Die Ausnahme: Nur wenn wir wissen, dass die Belegschaft der Firma ausschließlich aus Frauen besteht, dürfen wir "Mitarbeiterinnen" sagen. Wir müssen aber nicht. Auch im Falle einer rein weiblichen Belegschaft gilt das generische Maskulinum als grammatikalisch korrekt.


Woher kommt das generische Maskulinum?


Alle Geschlechter dürfen also im Maskulinum ausgedrückt werden, ohne dass wer den Rotstift zückt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Über Jahrhunderte waren Männer in Besitz von gesellschaftlicher, politischer und wissenschaftlicher Macht und haben daher auch maßgeblich die Entwicklung unserer Sprache geprägt. Jahrhundertelang dominierten Männer den öffentlichen Raum und waren daher auch sprachlich präsenter. Wir sind es gewohnt, über Männer zu sprechen. Das generische Maskulinum ist also eine Gebrauchsgewohnheit, die erst seit kurzem zu einer grammatikalischen Empfehlung manifestiert wurde. Und zwar genau zu der Zeit, als manche Menschen begannen, diese alte Gewohnheit nur über Männer zu sprechen, mehr und mehr abzustreifen, weil sie ihrer Realität nicht mehr gerecht wurde. Die Sprachwissenschaftlerin Gabriele Diewald bringt es auf den Punk. Auf dem Blog Sprache und Gendern.de schreibt sie:

„Das sogenannte generische Maskulinum ist keine grammatische Regel des Deutschen. Es handelt sich um eine Gebrauchsgewohnheit bestimmter Maskulinformen zur Personenreferenz, die auf alten patriarchalischen Haltungen aufsetzt und eindeutig diskriminierend ist.“[ii]

Die Magie hinter dem generischen Maskulinum heißt: Framing Theorie


Das generische Maskulinum ist nicht nur eine grammatikalische Form. Es ist auch eine Art Zauberspruch. Oder ein Fluch, je nach dem. Ein Fluch, den es weltweit gibt und nicht nur im Deutschen. Durch die Verwendung des generischen Maskulinums werden auf einmal, mit nur einem Wort, sämtliche Menschen grammatikalisch zu Männern gemacht. Es ist wie Magie. Es ist die zu Worten manifestierte dunkle Magie des Patriarchats, die alles nicht-männliche aus unserem Hören, Sehen und Denken verbannt.


Sprache, Denken und Handeln hängen sehr eng miteinander zusammen. Inwiefern unsere Sprache unser Handeln beeinflusst, könnt ihr in „Unerhört!“ nachlesen. Jetzt soll es vor allem um unsere Wahrnehmung von der Welt gehen und dass das generische Maskulinum die Fähigkeit hat, unser Denken zu vermännlichen. Das tut es, ohne, dass wir es merken – oder es vielleicht sogar wollen. Das Ding ist nämlich, dass wir bei der Verwendung eines Maskulinums wie „Mitarbeiter“ ein männliches Konzept in unserem Gehirn wachrufen. Und unser Gehirn ist sehr präzise. Wenn es ein Wort oder Begriff hört, ruft es nur ein einziges (in diesem Fall männliches) Konzept auf, nicht mehrere. Der Grund dafür ist, dass wir Sprache immer über Deutungsrahmen, so genannte Frames, aufnehmen.


Ein Neurolinguistischer Akt der Gewalt


Wir hören oft, dass alle Geschlechter mitgemeint wären, wenn das generische Maskulinum verwendet wird. Das ist neurologisch aber leider nicht möglich. Bei „Mitarbeiter“ wird das Konzept eines männlichen Arbeiters oder Kollegen aufgerufen. Das Konzept eines Mannes also. Das bedeutet, dass das Wort „Mitarbeiter“ einen männlichen Frame hat. Ein Frame ist kurz gesagt ein sprachlicher Rahmen, der es möglich macht, dass wir Wörter mit Bedeutung füllen können. Er ist quasi der Steuerungsknopf in unserem Gehirn, der abgespeicherte Konzepte abruft und uns Zusammenhänge verdeutlicht.


Laut der Framing Theorie von den Neurolinguist*innen Elisabeth Wehling und George Lakoff, kann immer nur ein einziger Frame in unserem Gehirn aktiviert werden, nie zwei gleichzeitig. [iii] Sie schließen sich gegenseitig aus. Ein männlicher und ein weiblicher Frame können durch ein einziges Wort also nicht gleichzeitig in unserem Gehirn aktiviert und daher auch nur ein einziges Konzept abgerufen werden. Was unser*e Gegenüber „meint“ ist für die Sprachverarbeitung in unserem Gehirn irrelevant. Es gilt nur was das Gegenüber sagt.


„Mitgemeint“ ist also nichts weiter als eine zwar nett gemeinte, aber trotzdem sehr schwache Geste, die angesichts der Tatsache, dass Frauen über Jahrhunderte in den privaten Bereich hinter verschlossene Türen gedrängt und alle nicht-binären Menschen komplett aus unserer Gesellschaft verbannt wurden, nicht weniger ist, als ein Schlag in jedes Gesicht, dass sich selbst nicht männlich definiert. Das generische Maskulinum ist ein patriarchaler Akt von Gewalt, der in unsere Gehirne zwangsläufig eine Welt presst, die nur aus Männern besteht – und zwar ohne, dass wir es merken. Das Patriarchat steckt im neurologischen Detail. Ob wir es wollen, oder nicht.


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[i] Fennert, Dana: „Das generische Maskulinum: Ein Auslaufmodell?“, erschienen in „Analyse und Beratung / Monitor – Gesellschaftlicher Zusammenhalt“, Konrad Adenauer Stiftung, Berlin 2022. https://www.kas.de/documents/252038/16166715/Das+generisches+Maskulinum+-++ein+Auslaufmodell.pdf/34ecd5fe-37ab-36b1-89b4-a7954a55a2a3

[iii] Lakoff, George / Wehling, Elisabeth: „Auf leisen Sohlen ins Gehirn - Politische Sprache und ihre heimliche Macht“, 2016.

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