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„Memme“ ist misogyn. Warum?

Ist euch bewusst wie krass weit oben auf dem Misogynie-Barometer das Wort Memme ist? Mir war es das bis vor kurzem nicht. Und ich war schockiert, als ich zufällig über die Herkunft des Wortes stolperte. Dabei ist es als Beleidigung, wenn wir genauer hinschauen, total unbrauchbar. „Du Papa!“ wäre viel passender, um Menschen als furchtsam, verweichlicht oder feige abzuwerten.


Illustration einer Frau, die ein Baby säugt, hinter ihr stehen eine Wildsau und eine Bärin

Memme kommt von Mama


Memme ist eine Variation des uralten Worts mamma.[i] Anders als oft angenommen, ist unser heutiges Wort Mamma nicht aus dem Lateinischen entlehnt, sondern auf urgermanisch *mam-mōn- zurückzuführen.[ii]  Später wurde memme zur mittel- und niederdeutschen Bezeichnung für die Mutterbrust oder für die stillende Mutter selbst[iii] und übertrug sich dann auch als Bezeichnung auf die Amme[iv].

Dass Memme als Abwertung in den deutschen Wortschatz einging, ist vermutlich die Schuld von Martin Luther.[v] Ab dem 16. Jhdt. ist Memme als Ausdruck nachgewiesen für

„einen furchtsamen und weichlichen menschen, der einem kinderwartenden weibe verglichen wird“[vi].

Ganz toll. Nicht.


Von wegen weich: Es geht ums Überleben.


Ich habe keine Kinder, aber ich habe riesigen Respekt vor jedem Wesen, dass ein Kind ausgetragen hat. Es ist nämlich ein Vorgang, der über den meisten Zeitraum der menschlichen Existenz hinweg für mindestens einen der beiden Beteiligten oft tödlich ausgegangen ist. Die Autorin und Wissenschaftlerin Cat Bohannen bezeichnet in ihrem Buch über die Evolution des weiblichen Körpers „Eva“, den Zustand der Schwangerschaft als Krieg um Nährstoffe und Immunsystem zwischen Schwangeren und dem Fötus - den die schwangere Person einfach umbringen kann. In dem Teil über die Entwicklung der Gebärmutter schreibt sie:


„Je größer die Föten wurden, desto invasiver wurde ihre Plazenta – es kostet viel Energie, einen größeren Körper auszutragen, und je mehr ein Fötus von seiner Mutter beziehen kann, desto besser geht es ihm … solange er sie nicht tötet. Jeder Evolutionsschritt hin zu einer unpaaren Gebärmutter und gierigen Plazenta ist ein Abwägen zwischen dem, was der Körper der Mutter benötigt, und dem, was ihr hungriger Nachwuchs verlangt – wobei jede Anpassung nur knapp am Tod von einem oder beiden Beteiligten vorbeischrammt.“[vii]

Cat Bohannon nennt die Schwangerschaft eine angestrebte Pattsituation, in der weder Fötus noch die schwangere Person sterben dürfen. Allein der Umstand, dass nur Körper mit Uterus solch einen Zustand über einen so langen Zeitraum überleben können, setzt eine starke und ausdauernde Konstitution voraus.


Die eigentlichen Schwächlinge: Papas.


Wie stark und ausdauernd Mütter sein müssen, zeigt sich auch nach der Geburt. In einer Studie von 2019 über den Schlaf von frischen Eltern, bewerten Mütter im ersten Jahr nach der Geburt ihren Schlaf mit 1,7 von 10 Punkten. Während Mütter beispielsweise in den ersten drei Monaten im Schnitt eine Stunde weniger Schlaf bekommen als zuvor, sind es bei Vätern nur 13 Minuten. Auch die Langzeitfolgen sind für Mütter schlimmer.

„Selbst vier bis sechs Jahre nach der Geburt des ersten Kindes steigt die Bewertung der Qualität des Schlafs lediglich um einen Punkt“[viii].

Wer ist hier also weichlich, Herr Luther?


Mal ganz abgesehen davon, hätte ich Luther gerne gesehen, wie der einer Wildsau mit Frischlingen oder eine Bärin mit Nachwuchs begegnet. Der würde sich schneller in die Hosen scheißen, als er „du Memme!“ sagen kann, weil er ganz genau weiß, dass Mütter gnadenlos sein können.


Memme ist eine misogyne Abwertung von Mutterschaft


Das Wort Memme ist Gewinner im Game „Schimpfwörter, die darüber funktionieren, Weichheit und Vorsicht als weiblich und negativ zu framen“. Solche Schimpfwörter gibt es eine ganze Reihe. Weichei gehört auch dazu. Oder wenn Jungs sich gegenseitig als Mädchen abwerten. Aber Memme setzt dem ganzen die Krone auf, weil es wie kein anderes Wort die Mutterschaft abwertet, indem es sie auf weiblich assoziierte Eigenschaften reduziert (die im Patriarchat ja grundsätzlich als schlecht gelten).


Aber mal abgesehen davon, dass Weichheit, Zärtlichkeit und Fürsorglichkeit großartige Eigenschaften sind, haben sie nicht zwangsläufig etwas mit Mutterschaft zu tun. Vielmehr ist das Austragen und Großziehen eines Kindes zunächst ein Kampf um Leben und Tot, (der in eine sehr (SEHR) schmerzhaften Geburt mündet,) später ein Kampf um Leben und Schlaf und letzten Endes ein Kampf um die eigene Lebenszeit, die wie ein Sturzbach unaufhaltsam in unbezahlte Carearbeit rinnt. Ich habe große Ehrfurcht vor allen von euch, die das durchgemacht und überlebt haben. Danke.


 

QUELLEN


[ii] ebd. Letzter Aufruf: 09.09.2025

[vii] Bohannon, Eva: Eva – Das Wunder des weiblichen Körpers und wie er seit 200 Millionen Jahren die Entwicklung des Lebens auf der Erde vorantreibt, C.Bertelsmann, 2023.

[viii] Kurt, Şeyda: Neue Studie: So lange leiden Eltern nach Geburt ihres Kindes an Schlafentzug, die Zeit, 2019. https://www.zeit.de/zett/2019-02/neue-studie-so-lange-leiden-eltern-nach-geburt-ihres-kindes-an-schlafentzug. Zuletzt abgerufen: 09.09.2025

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