Die englische Sprache ist mit der deutschen eng verwandt. Sie haben dieselben Sprachwurzeln, sie sind beide nicht nur indo-europäische, sondern auch germanische Sprachen und teilen eine Reihe von „good friends“ – Vokabular, dass in beiden Sprachen fast gleich klingt. Wer als Deutsch-Erstprachler*in Englisch lernt, erkennt auch regelmäßig grammatikalische Parallelen. Doch in einem unterscheiden sich beide Sprachen deutlich: Im Englischen funktioniert das Maskulinum für alle Geschlechter. Im Deutschen nicht.
Inhalt
Was macht ein englischsprachiges Gehirn mit dem Maskulinum?
Dass im Englischen das Maskulinum für alle Geschlechter funktioniert, beweist eine Studie von 2007, die ihr schon aus meinem Text über den Mitgemeint-Mythos kennt. Die Studie stellte anhand einer einfachen Methode fest, dass wir im Deutschen das Maskulinum in Bezug auf Personenbezeichnungen - wie beispielsweise Berufen - eindeutig mit männlich-sein verknüpfen und wir es nicht einfach als neutrale, grammatikalische Form wahrnehmen. Kurz: Wir denken an Männer, wenn wir „Professoren“ hören oder lesen. Klar so weit.
Das besondere an der Studie ist allerdings, dass sie nicht nur mit deutschsprachigen, sondern auch mit englisch- und französischsprachigen Menschen durchgeführt wurde. Die Ergebnisse unterscheiden sich zwischen Englisch auf der einen und Deutsch und Französisch auf der anderen Seite deutlich. Die englischsprachigen Probant*innen konnotierten Berufsbezeichnungen mit männlich oder weiblich eher aufgrund sozialer Gendernormen und nicht wegen grammatikalischer Begebenheiten.
Der Mitgemeint-Mythos
Wie genderneutral ist das generische Maskulinum wirklich?
Ein englischsprachiges Gehirn verbindet Nurse („Krankenschwester“) eher mit Frauen und Professor („Professor*in“) eher mit Männern, weil beide Berufsgruppen (bzw. der Care-Sektor und der akademische Sektor) stark vom jeweiligen Geschlecht geprägt sind. Das ist im Deutschen zwar auch so, aber nicht ausschließlich. Im Deutschen wirkt sich zusätzlich das generische Maskulinum darauf aus, welches Geschlecht wir welcher Person zuschreiben, wie die Studie oben zeigt. Aber im Englischen wird das Maskulinum offenbar neurologisch neutral verarbeitet und der gesellschaftliche Kontext gibt vor allem den Ausschlag.
Englisch und Deutsch sind wie Erdbeeren und Walnüsse: verwandt aber nicht gleich
Spätestens seit dem Känguru wissen wir, dass eine Erdbeere keine Beere ist, sondern eine Sammelnussfrucht. Damit ist sie mit der Walnuss näher verwandt als mit der Himbeere - aber trotzdem ziemlich anders. Wenn wir also nun behaupten, das deutsche generische Maskulinum funktioniere wie das englische, und wir müssten nur die weibliche Form weglassen und dann sind alle Geschlechter irgendwann happy, weil wir dann keine Binaritäten mehr betonen und außerdem eigene Wörter für jedes Geschlecht ja eh total sexistisch sein, weil alle sind ja gleich(wertig) und so, dann landen wir ganz schnell auf einem morschen Holzweg, der uns schneller als uns lieb ist in braunen Sumpf befördert. (Haha, das Farb-Wortspiel war hier eigentlich nicht beabsichtigt, aber es passt ganz gut.)
Das Problem ist nämlich, dass das Englische und das Deutsche zwar in vielerlei Hinsicht vergleichbar sind – aber halt leider nicht in jeder. Ja, Mist, sind halt doch zwei verschiedene Sprachen mit individuellen Eigenheiten und Knacknüssen. Der ausschlaggebende Punkt, warum die maskuline englische Art in diesem Fall für uns Deutschsprachige nicht funktioniert, ist sehr simpel. Es ist das deutsche Femininum. Das suchen wir in einer vergleichbaren Form im modernen Englisch nämlich vergebens.
Actress und princess - Woher kommen die Feminina im Englischen?
Nachdem ab ca. 450 n.Chr. verschiedene germanische Stämme auf dem Festland es leid waren, sich gegenseitig zu verhauen und die heutigen britischen Inseln besiedelten, (um sich dort weiterhin zu verhauen,) entwickelte sich das Angelsächsische, bzw. das Altenglische zu einer eigenen Sprache[i]. Was es in seiner Entwicklung offenbar nicht nachhaltig pflegte, war eine Endung für Feminina, die sich nachhaltig durchsetzen konnte. Mindestens ab dem 14. Jahrhundert war ihnen das generische Maskulinum dann offenbar aber doch zu öde und die Angelsächs*innen entlehnten die weibliche Endungen -ess(e) aus dem Französischen[ii]. Einige der frühesten Entlehnungen waren Titel für den Adel und kirchliche Würdenträger*innen, wie princess oder baroness. Diese sind bis heute noch in Gebrauch. Doch viele andere sind längst wieder aus dem englischen Sprachgebrauch verschwunden.
Wer erfand das generische Maskulinum?
Die historische Sprachentwicklung der deutschen Sprache aus feministischer Perspektive
Dass weibliche Formen wie actress (Schauspielerin) oder authoress (Schriftstellerin) im Englischen heute - vor allem von Frauen - abgelehnt werden, ist daher auch vollkommen richtig. Sie gelten als veraltet und abwertend.[iii] Genauso empfinden wir „Fräulein“ oder „Weib“ als veraltet oder sogar abwertend, denn es sind veraltete Formen von „Frau“ (Achtung Eigenwerbung: Wenn ihr mehr über die Entwicklung der Wörter „Frau“ und „Mann“ wissen wollt, dann besorgt euch mein Buch „Unerhört“!).
Ihr seht, die englischen femininen Endungen sind keineswegs mit der weiblichen Form im Deutschen vergleichbar, die (heute) mit der Endsilbe -in gebildet wird. Denn die wird mindestens seit dem Althochdeutschen durchgehend verwendet. Es ist seit Jahrhunderten Teil unseres alltäglichen Sprachgebrauchs. Das bedeutet, obwohl wir überwiegend im Maskulinum kommunizieren, kennt unser Gehirn genauso eine weibliche Form und verarbeitet beide in ihren jeweiligen gelernten Bedeutungen. Wir haben bereits neuronale Konzepte zum in-, bzw. innen-Suffix gebildet und Alltagswissen dazu abgespeichert, das wir unbewusst abrufen.[iv] Und dieses Wissen können wir nicht einfach ausknipsen. Das würde nämlich bedeuten, dass wir unser neuronales innen-Netz aktiv rückentwickeln müssten, obwohl die Grundlage seiner Existenz - das innen-Suffix - noch in unserer Wahrnehmung existiert. Es ist vielleicht enttäuschend, aber so funktioniert unser Gehirn leider nicht.
Neuronale Konzepte beeinflussen Sprache und Handeln
Es ist wie bei dem Buchverfilmungsphänomen: Wir lesen ein Buch und finden es großartig und haben lauter Bilder und Empfindungen dazu im Kopf – Personen, Orte, Wesen. Dann kommt die Verfilmung in die Kinos und wir sind so doof und lassen uns verführen, obwohl wir genau wissen, dass wir nur enttäuscht werden können. Die Protagonist*innen und Orte sehen ganz anders aus als in unserem Kopf und das Feeling passt vorne und hinten nicht. Das Schlimmste dabei ist allerdings: Wenn wir jetzt erneut das Buch zum Film in die Hand nehmen, um es ein zweites (oder drittes oder viertes) mal zu lesen, haben wir nur noch die Film-Bilder im Kopf und das ganz falsche Hollywood-Gesicht des*der Held*in. Wer kennt’s nicht.
Das deutsche Femininum ist wie eine Buchverfilmung, die penetrant in unserem Kopf sitzt und nicht mehr weg geht. Hätten wir den Film nie geguckt, wären unsere anderen, eigenen Bilder noch da. Hätten wir kein Femininum gäbe es möglicherweise die Chance, dass wir das generische Maskulinum als genderneutral wahrnehmen.
Selbstverständlich können wir Dinge vergessen. Den Geburtstag der Oma und den Schlüssel zuhause zum Beispiel. Aber sobald sich ein neuronales Netz an Wissen, ein Konzept, in unserem Gehirn aufgebaut hat, lässt es sich nicht mehr so einfach ausblenden. Das deutsche Femininum ist so ein Konzept. Das Englische jedoch hat ein ganz anderes Verhältnis zum Femininum. Es ging schon deutlich früher in der Sprache verloren und hat keinen nachhaltigen Weg zurückgefunden. Darum funktioniert dort die Assoziation von Personenbezeichnungen mit einem bestimmten Geschlecht auf der sozialen und nicht auf der sprachlichen Ebene.
Gendern im Englischen? Ganz ohne geht’s nicht
Das macht das Englische aber noch lange nicht zu einer genderneutralen Sprache. Mal abgesehen davon, dass es das Patriarchat geschafft hat, weibliche Wortendungen aus dem Englischen komplett rauszukicken, finden wir seine Spuren auch an anderen Stellen, vor allem im Wortschatz. In men (Mensch und Mann), policemen (Polizist*in), forefathers (Ahnen) grüßt die männliche Form. Hier können wir uns langsam an human, policeofficer und ancestors gewöhnen, die genderneutral(er) sind.
Geschlechtsspezifische Endungen sind übrigens nicht das Einzige, was das Englische mit der Zeit verloren hat. Die gesamte grammatikalische Struktur des Englischen ist deutlich simpler im Vergleich zu anderen germanischen Sprachen – insbesondere zum Deutschen. Das hat viele Vorteile und macht nicht nur das Gendern leichter. Es gibt so manches, dass wir uns aus der englischen Sprache abschauen können. Aber nicht den Umgang mit dem generischen Maskulinum. Das bleibt leider erstmal ein deutsches Problem. Sorry.
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Quellen
[i] Dtv Atlas Deutsche Sprache
[iii] Nele Pollatschek: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/geschlechtergerechte-sprache-2022/346079/they-gendern-auf-englisch/
[iv] Mehr zu neuronalen Konzepten und wie sie sich auf unser Handeln auswirken findet ihr in Büchern von George Lakoff und Elisabeth Wehling oder übertragen auf gendersensible Sprache in Kapitel zwei und drei von Unerhört! Unschlagbare Argumente für gendergerechte Sprache.
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