Wie genderneutral ist das generische Maskulinum wirklich?
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Das generische Maskulinum ist Gebrauchsgewohnheit
Heutzutage wird behauptet, dass mit dem Maskulinum alle Geschlechter gemeint wären. Wegen dieser neuartigen Erfindung des Rats der deutschen Rechtschreibung, diesem generischen Maskulinum. Es ist aber zu bezweifeln, dass das schon immer so war. Als es mit der Normierung der deutschen Sprache so ab der frühen Neuzeit langsam ernst wurde, hat sich vorrangig folgende Personengruppe diesen Job unter den Nagel gerissen: Akademische, weiße, christliche Typen. Welche Überraschung. Das hatte selbstverständlich Folgen.
Was ist das Generische Maskulinum?
Von Magie und Neurologie
Ab wann das Maskulinum in seiner heutigen generischen, also allgemeingültigen Form, verwendet wurde, darüber streitet die Sprachwissenschaft. Frauen haben damals selten schreiben gelernt, also waren es logischerweise Männer, die unsere schriftliche Sprache maßgeblich geformt haben. Ob sie nun Luther, Opitz oder Grimm hießen - all diese Menschen mit Penis haben mit ihren linguistischen Konzepten zur Normierung des Deutschen beigetragen.
Was diese weißen, christlichen Typen in ihre Grammatiken, Texte und Wörterbücher geschrieben haben, war logischerweise die Sprache, die SIE kannten, die aus IHRER Perspektive richtig und stimmig war. Und da damals ausschließlich Männer über intellektuelle und politische Macht verfügten, hat das auch niemensch in Frage gestellt. Zusätzlich waren die meisten Berufe von Männern besetzt und Männer haben das öffentliche Leben dominiert, während Frauen ins Private und Häusliche zurückgedrängt wurden. Darum waren wahrscheinlich meistens auch schlicht nur Männer gemeint, wenn sich im Maskulinum ausgedrückt wurde – aber auch nicht immer.
Genera waren grammatikalische Willkür der Herrschenden
In althochdeutschen Texten finden sich durchaus maskuline Ausdrücke, die ganz offensichtlich auch Frauen mit einschließen sollten.[i] Andererseits wurde die maskuline Form auch gezielt dafür verwendet, Frauen aus Prozessen auszuschließen. Zum Beispiel gab es 1912 den Fall, dass der ordentlich gewählten Abgeordneten Božena Viková-Kunětická der Zugang zum böhmischen Parlament verweigert wurde, weil es im böhmischen Gesetz von 1861 hieß: „als Landtagsabgeordneter ist jeder gewählt, der …“.[ii] Der Wortlaut wäre ja wohl eindeutig maskulin, was nur bedeuten kann, dass ausschließlich Männer gemeint seien und Frauen aus den Parlamenten draußen bleiben müssten. Ist doch klar.
Es herrschte also eine gewisse Willkür bei der Verwendung des Maskulinums. Ob es alle Geschlechter mitmeinte oder nicht, schien damit zusammenzuhängen, ob es den Beteiligten gerade in den Kram passte oder nicht. Heutzutage wimmelt es jedenfalls von diversen Geschlechtern im öffentlichen Raum. Aber in die Sprache dürfen nicht alle? Wie unlogisch. Wir sind wohl immer noch am selben Punkt wie vor 200 Jahren: Sprache wird so verwendet, wie es denen passt, die am längeren Hebel sitzen.
Was sagen moderne Studien?
Aus historischer Perspektive ist nicht eindeutig, für wen genau das Maskulinum alles verwendet wurde. Also, ob es auch Frauen miteinschließen sollte. Offenbar war es manchmal so, manchmal so. Neurologisch gibt es allerdings keinen Zweifel: Unser Gehirn verknüpft das generische Maskulinum mit Männlichkeit.
Studien zeigen, dass Menschen an Männer denken, wenn sie das Maskulinum lesen. Das hat eine Studie von 2007 mit einer sehr simplen Methode herausgefunden: Den Probant*innen wurden zwei Sätze präsentiert und sie sollten ansagen, ob der zweite Satz eine logische Fortsetzung des ersten Satzes sei. Das sah dann ungefähr so aus:
Die Professoren machten eine Pause in der Sonne. Wegen des schlechten Wetters trugen viele der Frauen einen Regenschirm.
Klingt der zweite Satz für euch nach einer logischen Fortführung des ersten? Laut der Studie lautet die Antwort für die meisten Menschen: nein. Denn selbst wenn die Probant*innen „ja“ anklickten – also angaben, dass der zweite Satz eine logische Fortführung ist - brauchten sie dafür deutlich länger, um diese Entscheidung zu treffen. Wenn in dem zweiten Satz von „Männern“ die Rede war, wurde viel schneller auf „ja“ geklickt. Wenn im zweiten Satz die Professoren zu „Frauen“ gemacht wurden, wurde gezögert (oder auf „nein“ geklickt). Das bedeutet, dass die Probant*innen nicht intuitiv gehandelt haben, sondern kurz nachdenken mussten, ob Satz zwei zu Satz eins gehört. Der Grund liegt auf der Hand: Ihr Gehirn ging automatisch von Männern aus, als sie „Professoren“ im Maskulinum lasen.
Das generische Maskulinum ist also ein künstliches grammatikalisches Konstrukt und nichts, was unser Sprachverständnis intuitiv mit Bedeutung füllt. Eine spätere Studie von 2023 hat das Ergebnis bestätigt und sogar gegenderte Varianten mit in die Versuche aufgenommen. Wer wissen will, was dabei herauskam, empfehle ich das Video von Mai Thi Nguyen-Kim, in dem sie diese und noch mehr Studien zum Thema aufrollt. Oder ihr lest einfach die Studie. Geht natürlich auch.
„Mitgemeint“ ist allerhöchstens nett gemeint
Die Folgefrage lautet nun vielleicht: Wieso ist das so? Wieso denkt unser Gehirn an Männer, wenn es Personenbezeichnungen im Maskulinum liest oder hört? Schließlich haben wir doch unser ganzes Leben gelernt, dass das Maskulinum alle meinen soll. Wie kommt dann bitte unser Gehirn dazu, so frech für sich selbst zu entscheiden und es einfach anders zu machen? Tja, offenbar haben wir weniger Einfluss auf unser Denken, als wir gerne hätten. Das lässt sich sehr leicht mit neurolinguistischen Erkenntnissen in Form von neuronalen Konzepten und Framing erklären. Diesen Theorien widme ich in „Unerhört“ ein ganzes Kapitel und erkläre auch, wie sich das generische Maskulinum auf unser Handeln auswirkt. Gönnt euch also ein Exemplar von „Unerhört“ und werdet schlauer.
Bis dahin können wir aber schon mal folgendes festhalten: Wir hören oft, dass alle Geschlechter mitgemeint wären, wenn das generische Maskulinum verwendet wird. Aber diese Phrase ist eine maximal vielleicht nett gemeinte aber in jedem Fall eine leere, billige Geste - angesichts der Tatsache, dass unser Gehirn nun mal nach bestimmten Mechanismen funktioniert, über die wir leider keine Kontrolle haben. Auch wenn wir das vielleicht gerne hätten.
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Quellen
[i] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/gendern-generisches-maskulinum-seit-jeher-in-gebrauch-laut-linguisten-18787526.html
[ii] https://open.spotify.com/episode/7MebIm9j9dy0iWGDVnsrD4?si=4wzSdBGKSNWhrwiCTg--WA&utm_source=copy-link
Studien
Gygax, Pascal u.a.: Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men, in “Language, Cognition and Neuroscience”, 2007. https://www.tandfonline.com/doi/ref/10.1080/01690960701702035?scroll=top (zuletzt aufgerufen: 22.10.2024)
Zacharski, Lisa: Gendered Representations of Person Referents Activated by the Nonbinary Gender Star in German: A Word-Picture Matching Task, in: “Discourse Processes”, 2023. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/0163853X.2023.2199531 (zuletzt aufgerufen: 22.10.2024)
Video von MAITHINK X: https://www.youtube.com/watch?v=pfvwnmPhIb0
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