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Die Wortentwicklung von Schlampe

Und was Röcke, schlaffe Penisse und trinkende Hunde damit zu tun haben


Okay, Hand hoch, wer dachte als unschuldiges Kind, eine Schlampe sei einfach eine unordentliche Person? Wer spürt außer mir immer noch die Peinlichkeit des Moments, im Alter von ungefähr zehn Jahren im voll besetzten Klassenzimmer von der Lehrerin eines Besseren belehrt worden zu sein, weil eins aus voller Überzeugung den Sitznachbarn mit dem total chaotischen Hausaufgabenheft Schlampe genannt hat? Ha, ha, jetzt ist der Moment! Ich habe Genugtuung für alle, die gerade mit erhobener Hand dasitzen: Ihr hattet recht! - außer in einer Sache: Schlampe in diesem Sinne war nicht geschlechtsneutral, sondern bezog sich immer auf Frauen. Warum?


Illustration einer Braut mit langer Schleppe hinter der ein hechelnder Hund läuft. Darüber steht "slut walk".

Die Wortherkunft: Schlampe, eine unordentliche Weibsperson


Im Mittelhochdeutschen war eine schlampe oder schlumpe eine „weibsperson, die nachlässig, unordentlich, schmutzig in ihrem äuszeren ist“[i]. Schlampen bedeutete so viel wie „schlaff, schlottrig herabhängen“[ii] und bezog sich insbesondere auf unordentlich getragene Röcke oder einfach nur die Schleppe eines Rockes[iii]. Auf letzteres bezog sich auch der schlamper. Der war nicht etwa eine unordentliche Mannsperson, sondern nur die Bezeichnung für einen schleppenden Rock. Andere Versionen dafür waren schlumper oder – mein Favorit – schlampumper (hihi).[iv]


Es ging also dezidiert um Frauenkleider. Darum konnten Männer nicht schlampig sein. Weil die trugen ja keine Röcke, sondern Hosen und die Baggy-Hose war noch nicht erfunden. Darum hing offenbar an den Männern nie irgendetwas schlapp und lotterig herunter und das, woran ihr jetzt zurecht denkt, was innerhalb der Hose schlapp herunterhing, steht auf einem anderen Wörterbuchblatt. Darüber möchte ich mich an dieser Stelle einmal kurz beschweren.


Die Schlampe und die Hundezunge


Dass ein unerigierter Penis nicht in den Schlampen-Diskurs mit einbezogen wurde, ist unerhört inkonsequent. Denn in Form und Konsistenz ähnliche Körperteile haben offenbar genügend Schlampen-Assoziation geweckt, um ein Verb daraus abzuleiten, das bis heute aktiv ist: schlappen (von schlampen). Also das, was Hunde tun, wenn sie Wasser trinken.[v] So eine Hundezunge, dachten sich die mittelhochdeutschsprachigen Menschen, hängt ja auch schlapp und lotterig herunter. In Analogie dessen wurde schlampen sogar auf Menschen bezogen, wenn sie gierig und geräuschvoll aßen und der Schlamp war ein „Gelage“ oder „üppigen Mahl“.[vi]


Wer weiß, vielleicht hätte das Wort Schlampe heute eine ganz andere Bedeutung, wenn Männer mit (schlaffem) Penis von Beginn an mitgedacht worden wären und Frauen hätten sich viel Beleidigung und Demütigung ersparen können. Schlampen wären dann Menschen in unordentlichen Kleidern oder mit unerigiertem Penis oder trinkende Hunde gewesen. Das klingt nach einem wunderschönen Ende der Schlampen-Geschichte. Aber es musste alles anders kommen. Danke für nichts, Patriarchat!


Das dunkle Zeitalter: Die 90er-Jahre


Heute ist das Wort Schlampe eine sexistische Beleidigung für Frauen, die darüber funktioniert, dass ihnen sexuelle Aktivität vorgeworfen wird. Das läuft nämlich nicht konform mit gesellschaftlichen Vorstellungen, wie sich Frauen oder weiblich sozialisierte Menschen sexuell verhalten sollten: Allzeit bereit für nur den EINEN, einzig wahren Sexualpartner, aka Ehemann. Doch so mittelalterlich diese Vorstellung von Sex und Partner:innenschaft ist, so modern ist das Wort in dieser Bedeutung. Denn tatsächlich ist es noch relativ neu und existiert erst seit wenigen Jahrzehnten.


Wann genau das Wort Schlampe diesen Bedeutungswandel vollzog, ist nicht ganz klar, aber vermutlich passierte es gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Wir sehen nämlich deutlich eine Häufung dieser sexistischen Beleidigung in Zeitungen während der 1990er Jahre[vii]. Wenn wir hingegen auf alle frei zugänglichen online-Medien schauen, war ihr Peak – suprise – in den Nuller-Jahren.[viii] Also genau in der Zeit, in der Britney Spears ihr Jungfrauen-Image hinter sich ließ und Justin Timberlake ihr unter Einbeziehung der gesamten Weltöffentlichkeit Untreue in ihrer Teenager-Beziehung vorwarf. Wo er überall mit seinem schlampigen Penis herumgewedelt hat, wurde natürlich kaum thematisiert.


Next Level: wir sind alle Schlampen – und stolz darauf!


Spannend ist: Jetzt gerade durchlebt der Begriff wieder einen semantischen Wandel. Feminist:innen auf der ganzen Welt reclaimen das Wort Schlampe für sich, um ihn in seiner sexistischen Bedeutung zu entwerten. Am deutlichen sehen wir das auf den so genannten Slut walks. Von Toronto bis Delhi gehen selbsternannte Schlampen auf die Straße, um für sexuelle Selbstbestimmung und gegen Opfer-blaming laut zu werden. Zusätzlich interessant dabei: Auf diesen Slut walks laufen nicht nur Frauen mit, sondern eine bunt-queere Mischung aus allen erdenklichen Geschlechtern. Die Schlampe hat offenbar ihren rein weiblichen Bedeutungsrahmen gesprengt. Das wurde auch Zeit. Schließlich sind die dunklen Jahrhunderte, in denen ausschließlich Frauen in der Öffentlichkeit Röcke trugen, längst vorbei. Und außerdem schlampt ja auch bei Menschen mit Penis ebendieser zeitweilen herum, wie wir bemerkt haben.


Und noch etwas: Wenn wir das Wort Schlampe als selbstermächtigten Begriff im sex-positiven Sinne auf alle Geschlechter ausweiten, ist das sogar im doppelten Sinne feministisch: Wir gestehen Frauen eine lebhafte Sexualität zu und wir beziehen ein ursprünglich nur für Frauen geltendes Wort auch auf Männer. Letzteres ist super selten in der Sprachgeschichte und es gibt nur sehr wenige Beispiele dafür. Darum bin ich nicht nur als Feministin, sondern auch als Linguistin der Meinung: Ja klar, auch Männer können Schlampen sein.

 


Quellen


[i] https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemid=S10314, siehe Schlampe, zuletzt abgerufen 05.07.2025.

[ii] https://www.dwds.de/wb/Schlampe?o=schlampe, zuletzt abgerufen 05.07.2025.

[iii] https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemid=S10314, siehe schlampen Abs. 2), zuletzt abgerufen 05.07.2025.

[iv] https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemid=S10314, siehe schlamper, zuletzt abgerufen 05.07.2025.

[v] https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemid=S10314, siehe schlampen, zuletzt abgerufen 05.07.2025; in Kombi mit „Kluge – Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache“. De Gruyter, 25. Auflage, S. 804.

[vi] https://www.dwds.de/wb/Schlampe?o=schlampe, zuletzt abgerufen 05.07.2025.


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